Dienstag, 13. Juni

Pflege im Notstand

Interview mit einer Intensivpflegerin

Redaktion ichbinarzt

Corona wirkt auf Vieles wie ein Brennglas. Die ohnehin schon stark belastete Intensivpflege wird durch Corona für alle sichtbar überlastet, und man fragt sich, wie lange das noch so weiter geht.
Wir haben nachgefragt!

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Corona bringt seit 14 Monaten die Intensivmedizin an die Belastungsgrenze und damit Intensivpfleger und -pflegerinnen ins Grübeln | shutterstock_81341887.jpg

Ichbinarzt: Heute ist Freitag und gerade wurde gemeldet, dass die Belegung der Intensivbetten wegen Corona wieder deutlich steigt. Was denken Sie, wenn Sie diese Nachricht hören?

Andrea: Das ist für mich keine Neuigkeit. Wir sehen das deutliche Hochlaufen der Intensivbetten schon seit 3 Wochen. Mir kommt da nichts Spezielles in den Sinn. Vielleicht ein kräftiges Puuuhh.

Ichbinarzt: Das scheint Sie nicht wirklich zu belasten, oder ist das nur unser Eindruck.

Andrea: Nein, das ist schon belastend. Aber eben auch mein Job. Ich habe mir diesen Beruf ja bewusst ausgesucht und mache das auch gerne. Nur hat sich die Belastung unglaublich erhöht. In der ersten Welle dachten wir alle, das wird uns überrollen und wir hatten regelrecht Angst vor der Triage. Aber letztlich haben wir es doch irgendwie hinbekommen. Und das hoffe ich auch jetzt.

Ichbinarzt: Haben Sie Zweifel, ob sie das hinbekommen und die Intensivabteilungen es diesmal nicht so gut schaffen?

Andrea: Bei der ersten Welle fehlten uns einfache Hilfsmittel, aber wir waren richtig positiv motiviert. Das wir auch bei höchster Belastung weitermachen und auch gute Arbeit leisten liegt daran, dass wir als Team auftreten. Wir funktionieren zusammen ungemein gut, improvisieren, stimmen uns in Blitzgeschwindigkeit ab und sind einfach eine perfekte Arbeitsgemeinschaft. Das höre ich auch von Kollegen und Kolleginnen aus anderen Krankenhäusern. Wir helfen uns gegenseitig. Ohne die gute Teamarbeit zwischen Ärztlichem Personal und der Pflege würde das alles nicht funktionieren.

Ichbinarzt: Können Sie bei der Belastung auch noch so etwas wie innere Zufriedenheit finden?

Andrea: Ja, kann ich. Wer in der Intensivpflege tätig ist und das länger aushält, ist schon speziell. Wir arbeiten mit Patienten, die ohne die Intensivbehandlung sterben würden. Da braucht man alles: ein dickes Fell, Einfühlungsvermögen, man muss mit Stress umgehen können, kompetent sein und auch Erfahrung haben. Ich geniesse die Teamarbeit schon, und finde es befriedigend wenn wir gemeinsam versuchen schwierige Situationen zu meistern. Ich spüre hier im Team eine starke wechselseitige Anerkennung. Diese Anerkennung gibt mir sehr viel.

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Andrea B. ist seit vielen Jahren auf einer Intensivstation tätig und schildert uns in einem Interview was sie motiviert, was sie frustriert und belastet und trotz aller Widrigkeiten am Laufen hält. Aus beruflichen und privaten Gründen möchte die Intensivpflegerin (hier Andrea B. genannt) das Interview anonym führen. Der ichbinarzt-Redaktion ist der Name bekannt.

Ichbinarzt: Apropos Anerkennung. Auch in der Bevölkerung fanden und finden ja Pfleger und Pflegerinnen jetzt mehr Anerkennung. Hat Sie das gefreut?

Andrea: Ehrliche Antwort?

ichbinarzt: Ja, sicher!

Andrea: Ich verstehe zwar die gute Absicht, aber ich fand diese Reaktion ziemlich deprimierend und auch daneben. Klatschen passiert doch im Stadion dann, wenn etwas Besonders passiert. Und auf mich wirkt das alles so, als hätte man jetzt zum ersten Mal gemerkt, dass wir - und da spreche ich sicherlich für alle in der Pflege - tatsächlich doch etwas Besonderes machen. Und dann zahlen die auch noch eine einmalige Prämie. Das ist dann auch so was wie Klatschen. Anstatt das Gehalt dauerhaft zu erhöhen kriegst du ein paar Hundert Euro als Einmalzahlung. Davon kannst du nicht mal 3 Tage Urlaub finanzieren. Insofern finde ich das Klatschen ziemlich daneben und bemitleidende Worte möchte ich auch nicht hören.

ichbinarzt: Was macht Sie bei dem Thema so mäkelig?

Andrea: Ganz einfach: ich habe den Beruf gewählt, weil es ich es so wollte. Und der Beruf macht mir Spass und ich will da von Mitleid oder Klatschen nichts hören. Das ist ein toller Beruf und der braucht kein Mitleid oder Klatschen.

Ichbinarzt: Hat die Pandemie Ihre Sicht auf Ihren Beruf und das Berufsleben verändert?

Andrea: Ja, ziemlich sogar. Eine Entscheidung habe ich schon getroffen.

Ichbinarzt:Welche?

Andrea: Ich werde - wenn die Pandemie hoffentlich mal vorbei ist - die Intensivstation verlassen und ein Jahr Urlaub machen. Jetzt werde ich mein Team nicht verlassen. Das hätte was von im Stich lassen. Möglicherweise überlege ich mir auch komplett etwas Neues anzufangen. Mal schauen.

Ichbinarzt: Da spricht doch eine Menge Frustration.

Andrea: Klar, im Moment in der ganzen Überlastung bin ich und auch viele Kollegen und Kolleginnen schon frustriert. Wir sehen halt keine Entlastung auf uns zukommen. Im Gegenteil: viele haben im Sinn etwas anderes zu machen oder mal eine kräftige Ruhepause zu nehmen.

IchbinarztIst diese Frustration auch ein Thema der Vergütung? Was denken Sie, wenn Sie lesen, dass ein Spitzenfussballer an einem Tag so viel verdient wie Sie im ganzen Jahr?

Andrea: Ich finde diese Gehälter zwar durchgeknallt, aber neidisch bin ich nicht. Die Vergütungshöhe in der Pflege wird durch den Stellenwert von Pflege in der Gesellschaft bestimmt. Wenn wir in der Pflege 25% mehr Gehalt bekommen - was ich als Minimum ansehe - dann müssen die Krankenkassen die Beiträge anheben und jeder schimpft dann sofort über die zu hohen Gesundheitskosten. Und schwupp sind wir schon wieder ein Kostenfaktor. An die mäßige Bezahlung gewöhnt man sich ja irgendwann. Zudem hat sich ein klein wenig ja hier auch getan.

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Ichbinarzt: Es scheint offenbar so zu sein, dass Geld nicht der entscheidende Faktor für Ihre Frustration ist?

Andrea: Verstehen Sie mich nicht falsch. Geld ist wichtig, denn wir müssen ja dort arbeiten wo viele Menschen leben. Und das ist in Städten mit hohen Lebenshaltungskosten. Wenn wir dort die Miete nicht zahlen oder kein gutes Leben führen können, macht das in so einem anstrengenden Beruf wenig Spass. Aber Sie haben schon recht. Geld ist nicht der Grund, warum die meisten, die ich kenne, den Pflegeberuf erlernt haben. Und Geld ist auch nicht der entscheidende Punkt warum die Kollegen und Kolleginnen sich aus der Pflege verabschieden und andere berufliche Tätigkeiten suchen.

Ichbinarzt: Das haben wir recherchiert. Die Verweildauer von Pflegekräften in Ihrem Beruf ist mit ca. 8 Jahren erstaunlich gering.

Andrea: Das hängt bei vielen sicherlich auch mit der Familien- und Lebensplanung zusammen. Der wichtigste Grund für mich ist aber, dass in den letzten 10 Jahren die Leistungsintensität durch Personalmangel und Leistungsdruck total gestiegen ist. Wir stehen immer mehr unter Strom und irgendwann fliegt halt die Sicherung raus.

Ichbinarzt: Was glauben Sie, wie wird sich die Situation in der Pflege entwickeln in den nächsten 10 Jahren?

Andrea: Ohje, keine Ahnung. Da wird ja seit einigen Jahren in der Politik geredet und geredet. Ich bin zwar nicht wirklich bewandert in der Gesundheitspolitik, aber die Missstände sind seit Jahren die gleichen. Es tut sich einfach wenig bis nichts. Wir sind jetzt in der Pandemie im Brennpunkt. Sobald die Pandemie überwunden ist, geht es wieder in den alten Trott. So sehe ich das. Und das ist auch mein Motiv vielleicht beruflich etwas anderes zu machen.

Vielen Dank fürs Gespräch

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